Einer flog über das Kuckucksnest
Vor 30 Jahren, nach jahrelang ertragener pädagogischer Inkompetenz und einem total verschulten Zahnmedizinstudium mit einer Brise Psychoterror, welcher uns auf unser späteres Berufsleben vorbereiten sollte, war es gefühlt überfällig Deutschland zu verlassen. Vielleicht war es damals der fehlende Mut, aber die ganze Ausbildung wäre in meinen favorisierten Ländern nicht anerkannt worden. Damit war kein einfacher Berufseinstieg ohne Anerkennungsverfahren möglich gewesen und so wichen die Träume der pragmatischen Realität. Wenigstens bot Deutschland damals gute Rahmenbedingungen für Freiberufler.
In den folgenden Jahren wurden für den beruflichen Erfolg rund eine Million Euro an Krediten aufgenommen und im Grenzbereich zur Selbstausbeutung gearbeitet. Mit zunehmenden Jahren verschwand jedoch diese Motivation aufgrund der Gängelung und Durchverwaltung der Leistungserbringer im Gesundheitssystem. Man ist hilflos den aufgeblähten Verwaltungsapparaten ausgeliefert, den statistischen Prüfungen und Honorarkürzungen bei Budgetüberschreitung (man wusste nicht, ob man am Ende überhaupt kostendeckend arbeitet). Kurz gesagt ist unser gesetzliches Gesundheitssystem heute nur noch eine Mangelverwaltung.
Motivierte Menschen sind aber wichtig für unsere Gesellschaft, denn sie geben der Gesellschaft meist mehr als sie für ihre Leistung bekommen. Bürokratische Systeme können hingegen nur das Vorhandene verwalten und greifen bei Veränderungen und Mangel auf ihre Strukturen zurück, indem sie versuchen Probleme mit mehr von dem zu lösen, was vorher schon eher problematisch war. Wer täglich mit dem Abarbeiten von unverhältnismäßigem, berufsfremdem Aufwand (Genehmigungen, Prüfungen, Verordnungen, etc.) beschäftigt ist, verliert mit der Zeit den Antrieb, da der Kopf für die eigentliche Arbeit nicht mehr frei ist. Eine planwirtschaftliche Mangelverwaltung wird junge Ärzte so leider nicht zu einem gesellschaftlichen Engagement bewegen.
Im Kontext meines Alters, der in den nächsten Jahren kaum erwartbaren politischen Handlungsbereitschaft, verbunden mit der zunehmenden demographischen Schieflage der Gesellschaft und der Haltung vieler jungen Kolleginnen und Kollegen, unter diesen Bedingungen nicht in das Gesundheitssystem investieren zu wollen, sah ich mich gezwungen, die Praxis schon vorzeitig zu übergeben, um vor die Welle an absehbaren Praxisschließungen und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Schaden durch Wertminderung bis hin zur Unverkäufligkeit der Praxis zu kommen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei der AOK für die vielen Budgettage und bei Jens Spahn, stellvertretend für die inkompetenten Minister der letzten Jahre, bedanken. Ohne diese aufgestaute Wut wäre meine Lebensplanung wahrscheinlich anders verlaufen, hätte ich den Mut, der mir damals gefehlt hat, wohl heute auch nicht aufgebracht.